Lernt mein Kind genug?

23.11.2022

Freie Alternativschulen bieten eine Lernumgebung in der Schüler*innen freiwillig und selbstbestimmt lernen können. Eltern dürfen dabei ihren Kindern vertrauen und deren Lernweg liebevoll begleiten. Doch manche Eltern machen sich große Sorgen...

Lernt mein Kind genug?

Wie oft habe ich in meiner Zeit als Geschäftsführerin einer Freien Alternativschule diese Frage von besorgten Eltern gehört.

Die Bedenken sind groß, aber warum eigentlich? Für viele scheint der Besuch Ihrer Kinder in der Schule eine Zäsur zu sein im gemeinsamen miteinander. Selbst Eltern, die bisher bindungsorientiert und auf Augenhöhe mit Ihren Kindern gelebt haben fällt es schwer diese Haltung im Bezug auf Schule beizubehalten.

Mit dem Beginn der Schule fängt der „Ernst des Lebens“ an. Der Druck, der auf den Eltern lastet ist groß. Die Kinder sollen bestmöglich gerüstet sein, wenn sie in ihr Erwachsenenleben starten und dazu gehört nun einmal auch eine gute Bildung. Zudem ist die Studienlage in Deutschland eher schlecht, in Vergleichserhebungen wie z.B. der PISA Studie liegt das deutsche Bildungsniveau weit hinter dem anderer Länder. Aber was ist denn die Folge daraus? Ist es richtig, Kinder ab dem 6. oder 7. Lebensjahr nicht mehr vertrauensvoll zu begleiten? Müssen Eltern spätestens dann in die Entwicklung ihrer Kinder eingreifen?

Das staatliches Schulsystem ist mehr als 100 Jahre alt

Vielleicht erfordert und legitimiert unser staatliches Schulsystem tatsächlich ein übergriffiges Verhalten der Eltern. Unser Schulsystem geht zurück auf den Schulkompromiss der Reichsschulkonferenz aus dem Jahr 1920. Seitdem ist viel verändert worden, aber die Grundstrukturen sind erhalten geblieben. Nach wie vor basiert es auf „Gleichmacherei“, alle Kinder sollen in der gleichen Zeit das gleiche Lernen. Nach vier Jahren folgt die Separierung, die guten aufs Gymnasium, die schlechten nicht.

Dieses System mag in Zeiten der Industrialisierung Sinn gemacht haben, aber nicht mehr in der heutigen Welt der Digitalisierung und Globalisierung. Die zunehmende Komplexität unseres Lebens verlangt von uns veränderte Befähigungen. Junge Menschen sind nur dann gut gerüstet für Ihr Leben, wenn sie selbstwirksam lernen und arbeiten und nicht gezwungen werden für sie „sinnlose“ Aufgaben abzuarbeiten.

Lernen ist individuell und will liebevoll begleitet werden

Und was brauchen unsere Kinder dafür? Liebevolle Begleitung auf Augenhöhe und Vertrauen. Dabei hilft es zu verstehen, wie Menschen lernen. Lernen ist höchst individuell. Es macht überhaupt keinen Sinn Einfluss zu nehmen. Kinder wollen lernen, sie lernen in ihrem eigenen Tempo und am besten mit Freude. Wir können ihnen vertrauen und dürfen sie gerne liebevoll begleiten, zu Hause als Eltern und in der Schule als Lernbegleiter*in. Unsere Aufgabe ist es zu erkennen, ob ein Kind gerade über-oder unterfordert ist, ob es sich unwohl fühlt oder gerade mit einem ganz anderen Thema beschäftigt ist. Diese Begleitung ist wichtig und nicht immer einfach. Schüler*innen, Eltern und Lernbegleiter*innen sollten gut zusammenarbeiten, sich gut austauschen. Und ja, Eltern dürfen kritisch sein mit der Arbeit der Lernbegleiter*innen. Aber es gibt gar keinen Grund, in den individuellen Lernweg der Kinder einzugreifen, diese zu kritisieren oder gar zu bestrafen. Ein Kind lernt nicht mehr Mathe, wenn es von der Schule veranlasst wird drei Mal in der Woche in den Matheunterricht zu gehen. Ein Kind lernt Mathe, wenn es ein Angebot bekommt, das ihn interessiert und das in dem jeweiligen Moment für das Kind spannend ist und es neugierig dran bleiben will an dem Thema. Deshalb braucht es keine besseren Strukturen in der Schule sondern allenfalls bessere Lernbegleitung, bessere Angebote und eine bessere Lernumgebung. Das dürfen und müssen Eltern von der Schule einfordern .

Dann können Eltern darauf vertrauen, dass ihr Kind genug lernt.

Susanne Frömel